Englische Vollblüter in der Reitpferdezucht. Betrachtungen von Dr. Horst Willer

I. Teil: Ohne “Blut“ geht es nicht!

 Vom Hannoverschen Verband wurden vor gut einem Jahr in einem Artikel von Gerd Gauger mit dem Titel “Das Herz macht das Pferd“ in dem Verbandsorgan “Der Hannoveraner“ die Alarmglocken geläutet. Mit Recht wird darin die gegenwärtig bedenkliche “Vollblut-Abstinenz“ der Reitpferdezüchter mit Sorge betrachtet. Danach lag in Hannover der Anteil der Bedeckungen durch Bluthengste (xx und AA) im Jahr 2005 nur noch bei 4,5%. Die vergleichbaren Werte sind für die Holsteiner Springpferdezucht mit 1,8% bzw. für die Westfälische Reitpferdezucht mit nur noch 0,7% sogar extrem niedrig.

In den Zuchtgebieten Deutschlands wurde erst in den 50-er und 60-er Jahren “Edelblut“ massiv nachgefragt, als es darum ging, die Warmblutzuchten vor dem Untergang zu bewahren. Mit dem Vordringen der Traktoren in der Landwirtschaft konzentrierten sich die Hoffnungen der Pferdezucht fast ausschließlich auf den in Stadt und Land aufblühenden Reitsport. Entsprechend mussten die gewünschten Reitpferde sportlicher, eleganter, schicker, ausdauernder und wendiger werden. So wurden bis Anfang der 70-er Jahre in Hannover und Westfalen jährlich mehr als 15% und in Holstein und Oldenburg sogar 30% bzw. 40% der zur Zucht benutzten Stuten mit Vollbluthengsten belegt.

Die Englischen Vollblüter, deren mütterliche und väterliche Ahnenreihe lückenlos zurückgehen auf die im Jahr 1793 erstmalig in dem in England herausgegebenen “Allgemeinen Gestütsbuch“ verzeichneten Rennpferde, können sich zu recht “pur sang“ (reinblütig) oder “ thoroughbred“ (voll durchgezüchtet ) nennen. Schon vor mehr als zwei Jahrhunderten (1793) wurde das Stutbuch der Galopper geschlossen mit der Konsequenz, dass seither weltweit kein fremdes Blut (Pferde anderer Rassen) mehr eingekreuzt werden durfte.

Die Züchtung auf höchste Rennleistung prägte in ganz besondere Weise Exterieur, Interieur, Typ und Charakter des Englischen Vollblüters. So werden an den Vertretern dieser Rasse vor allem geschätzt die großen Linien der Körperpartien (Rechteckmodell), Adel, Trockenheit (straffe Textur), Gesundheit, Härte, Widerstandsfähigkeit sowie Energie, Ausdauer und Leistungsbereitschaft. Von Federico Tesio, einem der bedeutendsten Vollblutzüchter des letzten Jahrhunderts, stammt die treffende Aussage: „Ein Pferd galoppiert mit seiner Lunge, es hält durch mit seinem Herzen und es gewinnt mit seinem Charakter“.

Die Erfolgsgeschichte aller Reitpferderassen, insbesondere der deutschen, ist untrennbar mit der züchterischen Nutzung des Englischen Vollbluts verbunden, die jedoch, wie bereits dargelegt, im zeitlichen Ablauf und im Hinblick auf ihre Intensität erheblichen Schwankungen unterlag. Dabei ging es einerseits um die Veredlung und “Härtung“ der warmblütigen Landespferdezuchten und andererseits um die gezielte Verbesserung der Reitpferdepoints und Reitpferdeeigenschaften.

Der für die Warmblutzucht ideale Vollbluthengst muss auch heute noch wie eh und je besondere Vorzüge aufweisen. Er soll nicht nur den “Stahl“ und schnelles Reaktionsvermögen in die Reitpferdepopulationen bringen, sondern auch Schönheit und Eleganz. Deshalb sollten die künftigen Vatertiere Harmonie in allen Körperproportionen aufweisen, über viel Schulter und Widerrist, über einen tiefen breiten Brustkorb bei gut angesetzter langer Halsung, über eine gut bemuskelte, leicht geneigte und mit langen Linie ausgestattete Kruppenpartie und über ein korrektes Fundament verfügen. Der ideale Vollblutbeschäler sollte nicht nur mit seinem Galoppiervermögen brillieren und korrekt im Gang sein, sondern sich vor allem im Schritt raumgreifend bewegen und auch im natürlichen Gleichgewicht mit schwingendem Rücken traben können.

In den letzten Jahrzehnten ist jedoch mit den enormen züchterischen Fortschritten der einzelnen Reitpferdezuchten - sie wurden durch Versuch und Irrtum häufig hart erkämpft - das Anforderungsprofil an das Englische Vollblut als Veredlungsrasse weiter deutlich gestiegen. Auf den Reitpferdechampionaten und den Reitpferdeauktionen, auf denen zumeist noch relativ junge Pferde vorgestellt werden, und auch auf den Turnieren ganz allgemein lassen sich die erreichten hohen Reitpferdequalitäten immer wieder bewundern. Vor allem die Rittigkeit, der Raumgriff der Bewegungen und das Springvermögen des deutschen Reitpferdes, ungeachtet seiner Zugehörigkeit zu einzelnen Zuchtgebieten, konnte in der Breite sichtlich nachhaltig verbessert werden. Auch haben die deutschen Reitpferde zunehmend an natürlicher Ausstrahlung und Schönheit gewonnen. Das Besondere an dieser positiven Entwicklung wiederum ist, was leider zu wenig zur Kenntnis genommen wird, dass sie gerade durch die gezielte Zufuhr von wertvollem genetischem Potential aus der Vollblutzucht ermöglicht wurde.

Die meisten Zuchtverbände sind nun schon seit geraumer Zeit dazu übergegangen, mit sichtbarem Erfolg spezielle Zuchtprogramme für Springpferde einerseits und Dressurpferde andererseits anzubieten bzw. durchzuführen. Zudem geben die jährlichen Zuchtwertschätzungen mittlerweile sehr detailliert über die Vererbungsqualität der einzelnen Vatertiere immer genauere Auskünfte. So ist es vordergründig verständlich, dass die Pferdzüchter häufig nur ungern  Vollbluthengste, die lediglich ihre Rennleistung unter Beweis gestellt haben, benutzen. Zudem sind sie als Newcomer häufig “unbeschriebene Blätter“. Mit anderen Worten: Die Züchter möchten die bereits züchterisch in ihren Mutterstämmen gut verankerte hohe Dressurveranlagung bzw. Springbegabung nicht durch die Anpaarung eines noch nicht oder nur wenig züchterisch erprobten Vollblüters gemindert wissen. Die Behauptung, ein Hengst- oder Stutfohlen abstammend von einem No-Name-Vollblüter ließe sich schlechter vermarkten als die Nachkommen eines Modehengstes, der in aller Munde ist, lässt sich schwerlich widerlegen. Auch wird immer häufiger die Auffassung vertreten, dass die Selektionsmöglichkeiten innerhalb der Reitpferdepopulationen im Hinblick auf Härte und Gesundheit durch die systematischen röntgenologischen Untersuchungen der potentiellen Vatertiere (Junghengste) und Verkaufspferde (zumeist Auktionspferde) in der jüngeren Vergangenheit ständig verbessert worden seien. Dem kann sicherlich nicht widersprochen werden. Bei einer gründlichen Abwägung des Für und Wider ist dennoch abschließend von folgendem Faktum auszugehen: Auch künftig lassen sich die Reitpferde sowohl im Dressur- als auch im Springsport in ihrem natürlichen Leistungspotential und ihrer schnellen Reaktionsfähigkeit züchterisch nur dadurch weiter verbessern und auf hohem Niveau halten, wenn weiterhin kontinuierlich die entsprechenden wertvollen genetischen Anlagen des Vollblüters genutzt werden.

Es gibt unzählige konkrete Beispiele dafür, dass reitsportliche Höchstleistungen nicht ohne stetige Zufuhr von “Blut“ möglich sind. Im Vielseitigkeitssport, der Königsdisziplin der Reiterei, konnten sich schon von jeher nur Halbblüter und Vollblüter dauerhaft behaupten; dies insbesondere bis zu Beginn der 2000-er Jahre. Bis hierhin war die Rennbahn fester Bestandteil der Geländeprüfung. Für den Großen Dressursport seien nur die Olympiapferde Bonfire mit Anke van Grunsven, Gigolo mit Isabell Werth und Beauvalais mit Beatriz Ferer-Salat genannt, die bereits in der 2. Generation jeweils einen Vollblüter aufweisen. Auch unter den Springpferden des Spitzensports finden sich zumeist Leistungspferde, die in aller Regel in ihrem Pedigree gleich mehrere Vollblüter aufzuweisen haben. Ohne die Englischen Vollblüter Cottage Son xx, Frivol xx und Ladykiller xx und den Angloaraber Ramzes ox hätte das Holsteiner Pferd nie seine heutige Spitzenstellung im Internationalen Springsport erringen können. Ein großer Vererber in der französischen und europäischen Springpferdezucht war der in Irland geborene und später im französischen Nationalgestüt LePin stationierte Englische Vollblüter Furioso xx.

Wenn nun die Englischen Vollblüter aufgrund ihrer konsequenten Selektion auf höchste Rennleistung und damit als Garanten für Härte, Gesundheit und schnelles Reaktionsvermögen für die Reitpferdezuchten auch weiterhin unverzichtbar sind, wie lässt sich dann sicherstellen, dass die wirklich geeignetsten Vollblüter für den Zuchteinsatz gefunden werden? Die Auswahl ist in den letzten Jahrzehnten nicht leichter geworden:

Einmal wurde die Zahl der Hindernis- und Jagdrennen in Deutschland, Frankreich und Italien deutlich zugunsten der Flachrennen weiter drastisch eingeschränkt. Während in Deutschland im Jahr 1970 noch 251 Hindernisrennen gelaufen wurden, waren es im Jahr 2006 nur noch 60. Wirkliche Steepler von Format und in größerer Zahl gibt es nur noch in England und Irland. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Mangel an geeigneten Trainern für Hindernispferde, vergleichsweise niedrige Preisgeldnotierungen, gestiegener Pflegeaufwand für die Hindernisbahnen. Insofern gibt es immer weniger Hinweise für besondere Springbegabungen unter den Vollblütern oder für springbegabte Linien. Dabei darf nicht unerwähnt bleiben, dass selbst in einem Jagdrennen die Springbegabung eines Rennpferdes schwer zu beurteilen ist. Der erfolgreiche Vollblut-Steepler muss primär Mut und Unerschrockenheit oder “Herz“ besitzen.

Zum anderen hat bei den Flachrennen eine Verschiebung von den Rennen über längere (klassische) Distanzen hin zu kürzeren (Flieger-Rennen) merklich zugenommen. Besonders ausgeprägt war diese Entwicklung in den USA. Dies blieb gerade dort nicht ohne Konsequenzen für die Veränderung des Typs. Die amerikanischen Vollblüter fallen oft auf durch ihre kurzen, gedrungenen, kompakten Körperpartien und eine stark und tief bemuskelte Hinterhand. Ähnlichkeiten mit den Quarter Horses sind unverkennbar. In der Sportpferdezucht sind solche Typen aus den oben bereits dargelegten Gründen nicht brauchbar.

 II. Teil: Was ist zu tun?

Jeder Sport- und Reitpferdezüchter sollte ein- bis zweimal im Jahr einen Tag auf einer Galopprennbahn verbringen und dort seinen hippologischen Studien am Führring, beim Aufgalopp, dem eigentliche Rennverlauf und schließlich am Absattelring nachgehen. Er wird von Galopper zu Galopper vielfältige Unterschiede hinsichtlich Exterieur, Bewegungspotential, Temperament und Leistungsbereitschaft feststellen. Trotz der Reinzucht über nahezu 40 Generationen ist es immer wieder frappierend zu sehen, wie groß auch heute noch die Varianz in der Ausprägung unterschiedlicher Typen ist. Die alte Rennbahnweisheit ist immer noch gültig: “Gelaufen wird in jeder Form.“

Dies wiederum erweist sich trotz der aufgezeigten Veränderungen im Turfgeschehen als Chance für die Sportpferdezucht, dennoch die passenden Veredlungshengste zu finden. Die Zeit, wo die Landgestüte und Zuchtverbände ihre Vollblutbeschäler nur nach dem erreichten GAG (Generalausgleich, Maßstab für die erreichte Rennleistung), der Bewertung der Abstammung, der Exterieurbeurteilung und der Temperamentseinschätzung aussuchten, ist längst vorbei. Schon seit einigen Jahren werden die vollblütigen Zuchtaspiranten ähnlich wie die jungen Warmbluthengste über einen Zeitraum von 30 Tagen ausgebildet und nach vergleichbaren Auswahlkriterien getestet. Nur so lässt sich die Spreu vom Weizen trennen. Welcher Züchter möchte hinsichtlich der Rittigkeits- bzw. Springveranlagung des infrage kommenden Vatertieres, wo Indexziffern über den Zuchtwert fast jedes Hengstes im Dressur- und Springsport detailliert Auskunft gibt, heute noch “die Katze im Sack kaufen“? Gerade ein Englischer Vollbluthengst als Veredler sollte im Hinblick darauf, was auch von seinen Nachkommen erwartet wird, weitgehend untadelig sein im Exterieur und alle Eigenschaften eines guten Reitpferdes aufweisen.

 

Dass es auch unter den Vollblütern Hengste mit außergewöhnlichen Rittigkeitswerten gibt, bewies 1999 der Celler Landbeschäler Prince Thatch xx, er wurde in der damaligen normalen Hengstleistungsprüfung mit 28 Teilnehmern in jenem Teilindex Dritter. Insofern verwundert es nicht, dass er später Vater des überaus erfolgreichen Grand Prix-Pferdes Picolino mit Klaus Husenbeth wurde. Auch Lauries Crusador xx, der im Jahr 2006 vom Hannoverschen Zuchtverband zum Hengst des Jahres erklärt wurde und der über viele Jahre seines Zuchteinsatzes hinweg in Serie hochtalentierte Dressur-und Championatspferde sowie eine größere Zahl von gekörten Hengsten lieferte, hat sich als ausgesprochener und sicherer Dressurpferdevererber erwiesen. Auch der Vollblüter - ja gerade er, wenn als solche die gewünschte Veranlagung bei ihm erkannt wird - kann dem Dressurpferd die Federkraft, Wendigkeit und Anmut der Bewegung unter dem Reiter sowie die genügende Sensibilität für die Hilfen des Reiters mitgeben. In diesem Kontext wäre auch auf den vielfach bewährten Warendorfer Landbeschäler Angelo xx hinzuweisen, der nicht nur Ahlerich, das Weltmeisterpferd und den mehrfachen Olympiasieger in der Dressur unter Dr. Reiner Klimke, lieferte, sondern über seinen Enkel Rubinstein die Zucht von Dressurpferden außergewöhnlich bereichert hat. Angelo xx war nicht nur ein ausgezeichnetes Rennpferd, sondern verband bei einer exzellenten Abstammung und einem Stockmaß von 1,70m Kaliber und Adel in vollendeter Weise.

Wo sind nun ganz aktuell im Springsport die Spitzenvererber des Englischen Vollbluts? Die Verbände der Reitpferdezuchten sind immer noch auf der Suche. Vor einigen Jahrzehnten waren es in der Holsteiner Springpferdezucht vor allen der Vollblüter Ladykiller xx, ohne den es die Spitzenvererber Lord und Landgraf nicht gegeben hätte. Erinnert sei auch an den Vollblüter Pluchino xx in Westfalen, der sich durch seine Enkel Pilot und Polydor einen Namen gemacht hat. In Hannover wiederum war es der kleine Vollblüter Pik Ass xx, der eine Vielzahl von Springpferden mit Weltklasseformat lieferte, und über seinen Sohn Pik Bube eine namhafte Hengstlinie begründen konnte. Fast alle erfolgreichen Springpferde der Neuzeit haben zumindest in der zweiten und dritten Generation einen Vollblutahnen. Dies hat seinen Grund. Mit der Vollblutanpaarung, so risikoreich sie auch immer im Hinblick auf den gewünschten Erfolg sein mag, werden die Springpferde wesentlich wendiger und reaktionsschneller. Ohne diese Eigenschaften lassen sich die immer technischer und raffinierter gebauten Parcours kaum noch erfolgreich bewältigen. Natürlich sollte der Vollblüter auch ein Mindestmaß an Springvermögen, also die Fähigkeit, mit der Hinterhand Gewicht aufzunehmen, sowie eine gewisse Freude am Springen mitbringen. Dies kann aber vor dem Zuchteinsatz beim Freispringen oder auch unter dem Sattel genauso getestet werden, wie auch die natürliche Rittigkeit und Durchlässigkeit, die für die Eignung in der Springpferdezucht ebenfalls bedeutsame Auswahlkriterien sein sollten. In dem 30-Tage-Test wird auch herauszufinden sein, ob der potentielle Veredler nicht nur über eine gute Springmanier - genügend Bascule und Vorderbeintechnik -, sondern auch über viel “Herz“, ausreichend Nervenstärke und angeborene Vorsicht verfügt.

 

Um einer weiteren “schleichenden Entedelung“ der deutschen Reitpferdezucht, wie sie Claus Schridde in einem einschlägigen Beitrag beschrieben hat, entgegenzuwirken, sollten folgende Maßnahmen weiterentwickelt werden:

 

1. Die traditionellen “Vollbluthengstschauen“ auf dem Kölner Rennbahngelände waren nicht mehr zeitgemäß und haben sich überlebt. Diese Veranstaltung hatte kaum Glanz, geschweige denn eine besondere Ausstrahlung.

 Seit 2006 hat sich das geändert. Mitte Oktober fand in Münster-Handorf zum zweiten Mal das „Schaufenster Vollblut“ statt.  Es war diesmal organisiert vom Warendorfer Rennverein und dem Westfälischen Pferdestammbuch, eine gelungene Schau- und Verkaufsveranstaltung. Präsentiert und prämiert wurden eine größere Anzahl ausgewählter Vollbluthengste und –stuten sowie sportlich erfolgreiche Halbblüter. Die Zuchtleiter und Landstallmeister waren stark vertreten. Auch fand ein reger Verkauf prämierter Hengste und Stuten statt. Der Holsteiner Verband konnte sich auf diese Weise bereits im Vorfeld den auffallend im Reitpferdetyp stehenden Vollbluthengst Ibisco xx-Royal Solo-Local Suitor sichern. Das Landgestüt Warendorf erwarb den Drittplatzierten Vollbluthengst Alegrador xx -Law Society-Königsstuhl. Aufs Erste dürften damit die Bande zwischen Vollblut und Warmblut wieder enger geknüpft worden sein. Diese neue Initiative sollte fortgesetzt werden, nur so kann sie sich zu einer “echten Lehrstunde zum Thema Vollblut“ für die Reitpferdezüchter weiterentwickeln.

2 .Bereits in der Reitpferdezucht bewährte Vollbluthengste mit besten Ergebnissen in der integrierten Zuchtwertschätzung sollten den Züchtern seitens der Zuchtleitung in Vorträgen und in der schriftlichen Berichterstattung immer wieder mit Nachdruck zur Bedeckung empfohlen werden. Dabei ist besonders darauf hinzuweisen, dass das züchterische Risiko bei diesen zuchterprobten Hengsten vergleichsweise gering sein dürfte. Möglicherweise können auch aufgrund der bisherigen Erfahrungen besondere Passer-Effekte ausgeschöpft werden. Die Fortschritte in der Fortpflanzungstechnologie ermöglichen sogar durch den Einsatz von Tiefgefriersperma über das Ableben eines wertvollen Spezialvererbers hinaus, Nachkommen von ihm zu bekommen.

3. Die Reitpferdezuchtverbände in Deutschland sollten sich darauf verständigen, jährlich eine gesonderte Hengstleistungsprüfung für Englische Vollbluthengste auszuschreiben. Die Finanzierung dieser speziellen Prüfung wäre von den Reitpferdezuchtverbänden gemeinsam zu tragen. Eine gewisse Vorauswahl sollte von einem verbandsübergreifenden Expertengremium vorgenommen werden. Darüber hinaus wäre daran zu denken, speziell für Englische Vollblüter - Hengste und Stuten - auf ausgewählten Reit-und Springturnieren Reitpferdeprüfungen auszuschreiben und durchzuführen mit der Maßgabe der Qualifikation für das Bundeschampionat der Reitpferde in Warendorf.

4. Die Erfahrung hat gelehrt, dass die direkten Vollblutnachkommen (Stuten der F1-Generation) hinsichtlich Ausgeglichenheit im Typ, Kaliber und Trabbewegung ihren Altersgenossinnen, die aus den normalen Anpaarungen hervorgegangen sind, häufig nicht ganz ebenbürtig sind. Insofern haben die Zuchtverbände konsequent gehandelt, dass sie schon seit einigen Jahren die Halbblutstuten gesondert in einer eigenen Klasse bei Stutenschauen miteinander konkurrieren zu lassen Gerade der F1-Generation kommt züchterisch für die kontinuierliche Verankerung der wertvollen Gene aus der Vollblutzucht in der Reitpferdezucht überaus große Bedeutung zu. Deshalb sollten auf den Schauen und anderen großen Pferdezuchtveranstaltungen sowie auch in der Berichterstattung (Artikel in den Fachzeitschriften) die Erfolge der Züchter, die “Mut zum Blut“ bewiesen haben, stärker als bisher dafür belohnt, beispielsweise durch Stiftung eines speziellen Züchterpreises, und umfangreicher gewürdigt werden.

5. Bei der Anpaarung von Vollbluthengsten ist selbstverständlich auch größtes Augenmerk auf die besondere Qualität der Stute zu richten. Mit anderen Worten: Nur hochbewertete Stuten aus gut durchgezüchtete Mutterstämmen mit untadeligem Exterieur und Charakter sollten Vollbluthengsten zugeführt werden. Nur dann ist die Wahrscheinlichkeit des Zuchtfortschritts gegeben. Um den Vollblüter für die Züchter wieder interessanter zu machen, kommt es zudem darauf an, den  Nachkommen (Halbblüter) noch stärker als bisher den Weg in den Sportpferdemarkt zu ebnen. Um dies zu erreichen gibt es durchaus Möglichkeiten. So sollten im Turniersport erfolgreiche Halbblüter publizistisch stärker herausgestellt werden. Zum anderen sollte der Hannoversche Verband auf jeder Elite-Fohlenauktion und den Reitpferdeauktionen eine spezielle Kollektion von Halbblütern anbieten.

 

Anmerkung:

Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag, der bereits vor mehr als einem Jahrzehnt gehalten wurde. Schon damals zeichnete sich der geringer werdende Einsatz von Vollbluthengsten in den Reitpferdezuchten sehr deutlich ab. In vielen Punkten dürften die Aussagen auch heute noch aktuell sein.

Autor Dr. Horst Willer stammt aus einer Reitpferdezüchterfamilie in Nordhessen. Als Jugendlicher nahm er in den 50-er und 60-er Jahren erfolgreich an ländlichen Turnieren teil. Nach dem Studium der Agrarwissenschaften erhielt er eine Anstellung im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Bonn. Von dort aus besuchte er oft die Renntage in Köln- Weidenpesch und entdeckte sein Faible für die Galopper. Nach dem Ende seiner beruflichen Laufbahn verlor er den Reitsport und die Reitpferdezucht nie aus den Augen mit der Konsequenz, dass er sich in seinem dritten Lebensabschnitt auf jenen Gebieten fortan journalistisch betätigte. Er ist seit vielen Jahren Persönliches Mitglied der FN und des Holsteiner Verbandes sowie im Vorstand des Trakehnenvereins tätig.

Zurück
Zurück

2. Auflage der Veranstaltung: “Vollblut - Qualität erkennen und für Zucht und Reitsport nutzen”

Weiter
Weiter

Der Saft der Wunder schafft! 200 Jahre Vollblutrennen in Deutschland