Dr. Lehmann im Interview

Es folgt das dem Bericht im Katalog “Schaufenster Vollblut” 2010 zugrunde liegende Interview mit Landstallmeister a.D. Dr. Gerd Lehmann.

Dr. Gerd Lehmann (Warendorf-Milte), 1933 im ostpreußischen Pfälzerwalde in der Nähe von Trakehnen geboren, leitete als Landstallmeister von 1966 bis 1995 das Nordrhein-Westfälische Landgestüt in Warendorf. Im Rahmen des Umzüchtungsprozesses setzte sich der promovierte Agrarwissenschaftler immer wieder für den Einsatz von Vollblütern in der Warmblutzucht ein. Heute ist er einer der wenigen Warmblutexperten, die auch noch über fundiertes Wissen aus dem Vollblutbereich verfügen. Der Träger des Bundesverdienstkreuzes wurde 1995 von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) für seine großen Verdienste um die deutsche Pferdezucht mit dem Deutschen Reiterkreuz in Gold ausgezeichnet.

Frage: „Warum ist der Einsatz von Vollblütern für die Warmblutzucht so wichtig?“

GL: „Alle heute aktuellen Reitpferderassen sind mit Hilfe von Vollblutbeschälern entwickelt worden. Vollblutbeschäler sind also die Stammväter der Reitpferdezuchten. Übrigens hört man im Zusammenhang mit dem Vollbluteinsatz immer wieder die Vokabel „Einkreuzung“. Dieser in der Pferdezucht ein wenig anrüchige Ausdruck ist unpassend. Schließlich hat der Vollblüter bei der Entstehung der Reitpferderassen Pate gestanden. Die erneute Zufuhr seines Blutes ist nichts Fremdes. Kreuzungen schaffen Bastarde. Diese will kein Pferdezüchter.
Der Einsatz des Vollblüters ist auch in der gegenwärtigen Zuchtphase unverzichtbar. Der solide leistungsgeprüfte Hengst, der mehrere Rennzeiten mit möglichst vielen Starts unbeschadet überstanden hat, gilt als Garant für Gesundheit und Härte. Er verbessert die Herz- und Lungenfunktion. Er festigt den Sehnen- und Bandapparat und die Knochenkonsistenz. Er sorgt für die Markanz der Körperkonturen und die Trockenheit der Textur. Der Vollblüter dient der Verbesserung der Konstitution im weitesten Sinne. Die zeitnahe Erfahrung lehrt, dass Mängel im Bereich dieser leistungsbestimmenden Kriterien mehr und mehr durch veterinärmedizinische Kunst ausgeglichen werden müssen.
Der gut modellierte, also reitgerecht konstruierte Vollblüter verbessert zudem die für den Sport so wichtige Elastizität. Das erfolgreiche Rennpferd verfügt in aller Regel über einen guten Schritt, den verschiedene Reitpferdezuchten in jüngerer Zeit etwas stiefmütterlich behandelt haben. Der Raumgriff des Trabes bedarf derzeit keiner Erweiterung. Wohl aber dessen federnde Leichtigkeit, die ein vergnügliches Reitgefühl vermittelt.
Der Galopp, die eigentlich wertbestimmende Gangart des Vollblüters, kann nur aus einer vorbildlich gestalteten Hinterhand, bei der die Winkelung der Gelenke richtig austariert ist, entwickelt werden. Diese optimale Winkelung gibt dem Reitpferd die Möglichkeit des energischen, Raum gewinnenden Vorschubs. Sie befähigt es zur Gewichtsaufnahme und der unverzichtbaren Hankenbeugung. Das gelegentlich in Laienkreisen kursierende Argument, der flach vorgetragene Galopp des Vollblüters reduziere das Springvermögen des Reitpferdes, wird widerlegt durch die Abstammungstafeln zahlreicher berühmter Cracks im internationalen Springsport.“

Frage: “Wie hat sich die Nutzung von Vollblütern in der Warmblutzucht in den vergangenen Jahren verändert? Nicht wenige Vertreter der Warmblutzucht sind der Meinung, dass mit Abschluss des Umzüchtungsprozesses der Einsatz von Vollblütern in ihrer Zucht eigentlich obsolet geworden ist. Was halten Sie von dieser These?“
GL: „Der Umzüchtungsprozess vom warmblütigen landwirtschaftlichen Arbeitspferd zum Reitpferd ist abgeschlossen. Angesichts der eben schon
angesprochenen Wertmerkmale, die Vollblutgene in die Reitpferdezucht einzubringen haben, brächte ein lang anhaltender Verzicht unüberschaubaren Schaden. Ich bin noch keinem ernstzunehmenden Menschen begegnet, der dauerhafte Abstinenz propagiert.“

Frage: „In der Warmblutzucht bestehen gegenüber der Nutzung von Vollblütern heute diverse Vorurteile. Was sagen Sie dazu?“
GL: „Vorurteile sind in der Regel vorschnell und häufig unbegründet. Die Bequemlichkeit, nicht etwas tiefschürfender nachzudenken, kreiert Vorverurteilungen. Grund für die Zurückhaltung beim Einsatz von Vollblutbeschälern ist die Tatsache, dass das Vollblutkind eine solide Ausbildung verlangt. Der klassische Ausbildungsweg, in der berühmten HDV (Heeresdienstvorschrift) 12 niedergelegt, wird aus Unkenntnis oder vermeintlichem Zeitmangel zu selten beschritten. Vielen Menschen fehlt die Gelassenheit. Ungeduldige, grob mit der Hand agierende Ausbilder verprellen ein junges Edelpferd, das dem Menschen von Natur aus zugetan ist, irreparabel. Diese Menschen verspielen fahrlässig die Chance, sich die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit des edlen Partners nutzbar zu
machen.“

Frage: „Sehen Sie schon heute negative Auswirkungen in der Warmblutzucht als Folge des abnehmenden Einsatzes von Vollblütern?“
GL: „Die Probleme zeichnen sich bereits ab. Die deutschen Warmblutzuchten sind aufgrund ihrer soliden Struktur führend in der Welt, wenn man die Turniererfolge auf internationaler Bühne als Maßstab nimmt. Diese erfreuliche Situation ist geschaffen worden durch die Züchtervereinigungen, deren einflussreichste das Alter von 100 Jahren überschritten haben. Gestützt wurden die Züchter in den meisten Provinzen durch Landgestüte. Diese garantierten Kontinuität und durchdachte Zuchtarbeit auch in den Zeiten des Niedergangs in den 50er und 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Zwischenzeitlich können unsere europäischen Nachbarn enorme Zuchtfortschritte, häufig basierend auf Zuchtmaterial aus deutschen Landen, verzeichnen. In ihren Zuchten, vornehmlich in der Hollands, spielen Vollbluthengste eine bedeutsame Rolle. Der Erfolg der Mitbewerber, der nicht mehr zu übersehen ist, wird die Verantwortungsträger hoffentlich veranlassen, den Einsatz erstklassiger Vollblutbeschäler neu zu überdenken. Übrigens, diejenigen Pferde, die Westfalens Zucht in jüngerer Vergangenheit durch herausragende sportliche Leistungen zu Weltruf verhalfen, führten wertvolles Vollblut in den ersten Ahnengenerationen.“

Frage: „Welche weitere Folgen wird der mangelnde Einsatz von Vollblütern für die Zukunft der Warmblutzucht haben?“
GL: „Ein dauerhaft zurückhaltender Einsatz von Vollblut muss sich zwangsläufig negativ auf die Gesundheit, die Elastizität und die Leistungsfähigkeit auswirken.“

Frage: „Anders als vor dem Zweiten Weltkrieg haben sich hierzulande Vollblut- und Warmblutzucht in den vergangenen Jahrzehnten immens auseinander entwickelt. Heute gibt es nur noch wenige Warmblutzüchter, die auch über ein umfassendes Wissen aus dem Vollblutbereich verfügen. Umgekehrt dürfte es sich genau so verhalten. Was ist der Grund für diese Entwicklung?“
GL: „ Das kann ich nicht bestreiten. Sicherlich ist dieser Zustand bedingt durch die unterschiedlichen Nutzungsformen des Vollblut- und des Warmblutpferdes. Ersteres ist auf größte Schnelligkeit in der Gangart Galopp ausgelegt. Bei oberflächlicher Betrachtung wird übersehen, dass zu dieser Leistung ein sehr gutes Innenleben gehört. Um die Leistungsfähigkeit zu entfalten, ist ein ordentliches Temperament vonnöten. Der irre Vollblüter verliert das Rennen schon am Start.
Die Ansprüche an die Rasse Reitpferd sind vielgestaltig. Eine Reitpferdepopulation hat ein breites Spektrum von Wünschen abzudecken. Dieses Spektrum reicht vom völlig unkomplizierten Pferd, das den unerfahrenen Reiter gefahrlos spazieren trägt, bis hin zum leistungsstarken Spezialisten für die drei olympischen Disziplinen. Die vielen Turnierveranstaltungen im Reitpferdebereich füllen die Terminkalender des Reitpferdezüchters. Er findet nicht mehr die Zeit, die Rennveranstaltungen zu besuchen. Der in die Vollblutzucht involvierte Mensch verspürt nur in ganz wenigen Ausnahmefällen das Bedürfnis, Veranstaltungen auf dem Sektor Warmblut anzuschauen. Diese Situation ist vornehmlich aus der Sicht des Reitpferdezüchters bedauerlich. Ihm entgehen Informationsmöglichkeiten zu einer Rasse, auf deren Nutzung er, wie bereits gesagt, auf die Dauer nicht schadlos verzichten kann. Die Vollblutszene schätzt das Absatzvolumen in Richtung Reitpferdezucht gering ein. Daher die relativ geringe Gegenliebe.

Die von dem rührigen Ferdinand Leve, dem Vorsitzenden des Warendorfer Rennvereins, initiierte Veranstaltung -Vollblut trifft Warmblut – ist ein begrüßenswerter Brückenschlag. Die Bereitschaft im Vollblutbereich, ich denke hier an die Trainer und die Pferdeeigner, dieses Treffen mit attraktiven, gut herausgebrachten Pferden zu beschicken, hält sich leider noch ein wenig in Grenzen. Nur gut aufgemachte Modelle vermögen den verwöhnten Warmblutzüchter anzulocken. 
Bedauerlicherweise lässt sich die Vollbluthengstschau, die das Direktorium viele Jahre lang auf der Rennbahn in Köln veranstaltete – wohl aus finanziellen Gründen – nicht neu beleben. Von dort aus fanden viele Beschäler den Weg in die Reitpferdezucht. Ich hielte es für nützlich, wenn die größeren, absolut sehenswerten Vollblutgestüte Gruppen von Reitpferdezüchtern – in passender Jahreszeit – die Möglichkeit zu Besuchen böten.“

Frage: „Woran erkennt man einen für die Warmblutzucht tauglichen Vollblüter?“
GL: „Vielleicht hätte dies die erste Fragen sein sollen. Der für die Reitpferdezucht interessante Vollblüter muss das Reitpferdemodell verkörpern. Er muss großrahmig und markant sein. Er muss die Merkmale seiner Rasse, den Typ, möglichst perfekt zur Schau stellen. Das Gesicht des Vollblüters muss Freundlichkeit ausstrahlen. Neben dem passenden Stockmaß ist es das Körpervolumen, das Attraktivität bewirkt. Breite und Tiefe sind unverzichtbar. Noch nie hat ein hochbeiniger, schmalbrüstiger Vollblüter nachhaltig Resonanz in der Reitpferdezucht gefunden. Ein leichtes Genick und die entsprechende Ganaschenpartie wünscht man sich vom Veredler. Aus einer großen Schulter, die ein markanter Widerrist ziert, wächst ein wohlgeformter Hals in passender Länge heraus. Die Rückenpartie ist reitgerecht geschwungen, die Lendenpartie mit langen Querfortsätzen versehen. Besonders bedeutsame Kriterien sind Kruppenlänge und Kruppenneigung. Beide stehen in engem Zusammenhang mit der die Leistung befördernden Winkelung der Hinterhand. Ein korrekt gestelltes, trockenes Fundament steht vorn auf der Prioritätenliste. Sie werden zu Recht die Frage stellen, wie sind diese Idealvorstellungen zu projizieren auf eine Rasse, deren Zuchtziel allein auf Schnelligkeit ausgerichtet ist. Der Aspekt Korrektheit des Exterieurs scheint in der Vollblutzucht vordergründig betrachtet, nachrangig zu sein. Das Streben nach optimaler Rennleistung führt aber konsequent zu derjenigen Skelettkonstruktion, auf die auch der Reitsport setzt. Dem Besucher von Rennveranstaltungen fällt auf, dass diejenigen Pferde, die die anspruchsvollen Rennen bestreiten, ich denke an die klassischen Rennen, die Gruppe-Rennen, aber auch die hohen Ausgleiche, denjenigen in der Exterieurausformung überlegen sind, die im Ausgleich IV ihr Dasein fristen. Der im Rennsport erfolgreiche Hengst ist gut konstruiert. Nicht von ungefähr stand er Pate bei der Entstehung der Reitpferdezuchten.“


Es folgen weitere Ausführungen zum Thema “Zuchtfortschritt”

Januar, 2021
Zuchtfortschritt Vollblut
Frage an Dr. Lehmann wie er den Zuchtfortschritt der letzten Jahrzehnte beim Vollblut beurteilt?

“Wenn wir auch heute in Deutschland hauptsächlich vom Klassiker der 2400 Meter Distanz als "lange" Distanz reden, so gibt es tatsächlich auch heute noch echte "lange" Distanzen von 3.000 Metern und mehr, vornehmlich im angelsächsischen Ausland und Frankreich. Diese Pferde rekrutieren sich jedoch aus der selben Genetik, wie wir sie auch für die klassischen Rennen kennen. Ein Steher ist eben ein Steher. Der willkürliche Nutzen einiger weniger dieser Renner für "echte" Langdistanzen macht genetisch noch kein anderes Pferd. Misst man den Zuchtfortschritt der letzten Jahrzehnte allein in Speed, so erschöpft die Bemessung sich in bis zu 5 Sekunden verbesserte Bahnrekorde diverser Langstreckenrennen. Ist das Zuchtfortschritt?”  

Einen wesentlicher Aspekt räumt Dr. Lehmann in diesem Zusammenhang der Verbesserung der Geläufe in den zurückliegenden Dekaden ein. Er stützt sich auf die Erfahrungen eines Trainers in Newmarket, die verbesserte Bodenbeschaffenheit der Rennbahnen käme den häufig auf flachen Trachten stehenden Blütern heutzutage sicherlich mehr entgegen als das noch vor vielen Jahren der Fall war. Selbst wenn dieser Aspekt keinen direkten Einfluss auf den Speed haben sollte - der vermeintlichen Haltbarkeit und Laufleistung der Pferde gemessen in Jahren kommt es sicherlich entgegen.
Fünf Sekunden mehr oder weniger auf einer echten "langen" Distanz haben den Vollblüter an sich jedoch nicht verändert. Ein Lauries Crusador xx  war schon damals (und ist es noch heute) ein klassisches Modell. Dr. Lehmann geht hierbei sogar zurück bis Alchimist und Oleander. Pferde mit einem Anspruch an Linien und Ausprägung, wie sie noch heute "modern" seien. Sein Favourit in diesem Zusammenhang ist stets Akitos, insbesondere auch in Hinblick auf die glorreiche Schlenderhaner Stutenfamilie dahinter. Ein formschön modellierter Hengst, der aus seinem ersten Jahrgang nicht ohne Grund gleich sechs bis acht Töchter auf der damaligen Eliteschau stellte. [Anmerkung des Verfasser]

Dezember, 2020 

Wider den Zuchtfortschritt?

Der Zuchtfortschritt gilt als oberstes Gebot in der modernen Sportpferdezucht, aber ist er das wirklich noch?
Ein paar kritische Gedanken von Dr. Lehmann zum Zuchtfortschritt, und was der Vollbluteinsatz damit zu tun hat.


“In der Springpferdezucht liegt die Latte bei 1,60 und damit dürfte das Lauftier Pferd seine natürlichen Grenzen erreicht haben.
Mächtigkeitsspringen über zwei Meter sind nie Zuchtziel gewesen und werden es auch nie werden. Aus gutem Grund. Vermögen ist das Ziel, doch der Zuchtfortschritt des Springpferdes ist physikalischen Grenzen unterworfen. Heritabilität in der Springpferdezucht ist deutlich geringeren Ansprüchen unterlegen, als die Vielzahl der Kriterien, denen ein Dressurpferd gerecht zu werden hat. Ein bisschen verhält es sich daher bei Springpferden wie im Rennsport:
"They run in all shapes"! Im Rennsport hört man nicht von Zuchtfortschritt reden, aus gutem Grund. Auch hier setzt der Speed physikalische Grenzen. Es sind seit Jahrhunderten die selben. Was wollen wir am modernen Springpferd also noch verbessern, ausser persönlicher Befindlichkeiten hinsichtlich des Typs?
Manch einer bemängelt altbackene Pferde. Eine Frage des Geschmacks, keine Frage der Qualität. "Schwerfällig" und "langsam" sind durchaus Attribute qualitativen Anspruchs. Meist geht aber gerade dieser zeitraubende Aufwand der Bewegungsabläufe einher mit  eben dem gewünschten Quentchen "mehr" an Vermögen. Kraft schöpft man nicht aus filigranen Modellen. Sieht man sich daher die Championatspferde der letzten Dekaden an, war und ist die Zeit geprägt von aufwändigen, schweren und langsamen Champions: Willi Mellingers Calvaro, der "weisse Riese", Cento, Carthago (der die heutige Springpferdezucht hinsichtlich Vermögen immer wieder auch als Muttervater prägt, wie kein Zweiter), Cornado, Cumano. Der legendäre Milton, Cruising, Pialotta, Ratina und andere Heroen des Springsports sind zwanzig Jahre her und mehr - sind sie wirklich vom Zuchtfortschritt überholt? Ich wage die Behauptung, auch ein weltmeisterlicher Fire (Norbert Koof) wäre heute noch ein ordentliches Championatspferd. Was kann man daran noch "verfortschrittlichen"? Wir erhöhen also die technischen Anforderungen und die Pferde müssen wendiger werden. Das geht auf  Dauer nur über Vollbluteinsatz. Vollblut unterliegt keinerlei Zuchtfortschritt i.S. von Veränderung. Ergo unterliegt auch die nachhaltig notwendige Konsolidierung mittels Bluteinfluss keinem Zuchtfortschritt. Sie unterliegt lediglich der Erkenntnis um die Notwendigkeit von Vollbluteinfluss. Diese Erkenntnis ist so alt wie die Sportpferdezucht, also gut und gern einhundert Jahre alt. Ohne Schmieröl läuft der beste Motor nicht. Das ist nicht Zuchtfortschritt sondern ein physisches Gesetz und damit in keiner Weise Veränderungen unterworfen. Mir persönlich ist ein schwerer, aufwändiger und langsamer Springer lieber als ein wendiges Wiesel. Weil es ein nur schwer in Worte zu fassendes Sprungerlebnis ist, wenn so ein Brummer unter dem eigenen Sattel in seiner Bascule geradezu "explodiert" und dem Reiter mit jedem Sprung ein Feuerwerk unter das Gesäss zaubert. Dafür lass ich jede wieselflinke Granate gern stehen. Beide haben ihre Grenzen bei 1,60. Der Rest ist Haarspalterei.
Ist es nicht?
In der Dressur haben wir den sog. Zuchtfortschritt inzwischen klar überdreht und züchten Pferde, die in vielerlei Hinsicht unnatürlich und demzufolge defekt und anfällig sind. Viel zu weit weg von dem naturgegebenen Lauftier Pferd hat der "Zuchtfortschritt" hier die naturgegebenen Grenzen weit überschritten. Besinnung auf Rückschritt täte gut und wäre ein großer Fortschritt. Weniger zirzensisch in der Aufmachung, stattdessen solide bodenständig auf stabilem Fundament, weniger überbeweglich, dafür mit einem naturgegeben gesunden Verhältnis von Belastbarkeit zu Sehnen, Bändern und Gelenkapparat, das ganze Konstrukt einem Größenverhältnis angemessen, wie die Natur es vorsieht. Giraffen leben zurecht in der Savanne. Grasfresser bedürfen der Bodennähe und gesunder Fluchtreflexe. Ein Meter achtzig? Es hat seinen Grund, dass das Zeitalter der Saurier nur von kurzer Dauer war.  Alle anderen Ansprüche an das moderne Sportpferd lassen sich in einem einzigen Begriff zusammenfassen: harmonisch. Ein harmonisches bodenständiges Pferd mit drei funktionalen Grundgangarten und einer Lebenslaufzeiterwartung von 20 Jahren ist heutzutage bereits die Ausnahme. Da müssen wir uns doch alle mal an den Kopf fassen? Besinnen wir uns also darauf, einfach wieder gesunde und funktionale Pferde zu züchten und bewegen uns in diesem Bemühen gern fünfzig Jahre zurück. Vermutlich wäre das der größte Zuchtfortschritt.”

 

Auf ausdrücklichen Wunsch Dr. Lehmanns hier noch eine bemerkenswerte Feststellung die aus den vorangegangenen Ausführungen so nicht hervorgeht:
Dr. Lehmann wies darauf hin, dass alle der hier aufgeführten und in Warendorf stationierten Vollblüter auf deutschen Bahnen gelaufen sind und dort für die Warmblutzucht entdeckt und rekrutiert wurden. Diese Aussage soll der heute in der Öffentlichkeit gern verbreiteten Wahrnehmung entgegenstehen, man könne in Deutschland keine für die Warmblutzucht tauglichen Blüter finden weil es sie nicht gäbe. 
Es gibt sie.
Damals noch und heute auch.
Man muss sie nur auch finden.    

 

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Auf das Individuum kommt es an

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Vollblut in der Reitpferdezucht